Karl Rath (1802-1876) – Höhlen­forscher in der Alten und Neuen Welt

Am 30. Mai 1834 war vom Dorf­schul­meister Karl Wilhelm Fauth bei Erpfingen eine neue Höhle ent­deckt worden. Dass ihm eine beim Sam­meln von Pflanzen ver­loren­ge­gangene Tabaks­dose den Weg in die Tiefe wies, dürfte hin­läng­lich be­kannt sein. Schon kurz nach der landes­weites Auf­sehen er­re­genden Ent­deckung er­schien in Reutlingen eine „Be­schreibung der bei Erpfingen (im Königreich Württem­berg) neu ent­deckten Höhle” von Karl Rath.

Das Heft war der erste ge­druckte Schau­höhlen­führer von der Schwäbischen Alb und zu­gleich ein Meilen­stein in der Höhlen­forschung im deutschen Südwesten:

  • Zum ersten bot der von Karl Rath auf­ge­nommene Plan der Erpfinger Höhle eine An­schau­lich­keit und Genauig­keit, wie sie lange Zeit nicht wieder erreicht wurden.
  • Zum zweiten markierten Raths Aus­führungen zu den Fund­ver­hält­nissen und die Dar­stel­lung der Kultur­reste aus mehreren Epochen der Vor- und Früh­ge­schichte in Wort und Bild den Be­ginn der archäo­logischen Höhlen­forschung im Lande (Petrasch 2008).
  • Zum dritten waren Raths Aus­sagen über die erst­mals in einer Höhle der Schwäbischen Alb zu­tage ge­kom­menen Reste des fos­silen Höhlen­bären äußerst fort­schritt­lich. Er sah näm­lich keine An­zeichen für eine Ein­schwemm­ung der Knochen in die Erpfinger Höhle während des jüngeren Eis­zeit­alters, was damals bei anderen Fund­stellen all­ge­mein angenommen wurde.

1949 fand Karl August Bez aus Erpfingen eine Fort­setzung der Höhle, die wieder­um in großer Menge Tier­reste aus dem jüngeren Eis­zeit­alter ent­hielt. Da­durch wurde die an­schließ­end meist „Bären­höhle” ge­nannte Erpfinger Höhle zu einer klassischen Stätte der Palä­onto­logie. Da­rüber hin­aus kamen in den 1950er Jahren im Bohn­erz­lehm am alten Höhlen­ein­gang Reste einer arten­reichen Tier­ge­mein­schaft aus dem ältesten Pleisto­zän zu­tage. Für die Schwäbische Alb ist diese alte Höhlen­fauna bis heute ein­zig­artig ge­blieben. Sie hat – meist im Zu­sam­men­hang mit der Land­schafts- und Ver­karstungs­ge­schichte – mehr­fach zu neuen Unter­suchungen ge­führt, zuletzt 2003 im Laichinger Höhlen­freund (Jg. 38, Nr. 2) und in Abel, Harlacher &Ufrecht (2006).

Weitgehend in Vergessen­heit geraten war dagegen der Ver­fasser der Schrift von 1834. Einen Nach­druck des seltenen Werkes be­reicherte der Ver­band der deutschen Höhlen- und Karst­forscher im Jahr 1978 zwar mit An­gaben über Karl Friedrich Joseph Rath, der am 31. März 1802 in Stuttgart ge­boren ist. Wilfried Setzler, der Ver­fasser dieser Kurz­bio­graphie, hat die an der Uni­ver­sität Tübingen und an anderen Orten vor­handenen Unter­lagen aus­ge­wer­tet und ver­mutet, dass Rath nach Amerika aus­ge­wandert ist; ein Sterbe­datum war nicht be­kannt (Setzler 1978).

2008 brachten Nach­forschungen von Ivone Salgado, einer Wissen­schaft­lerin aus Brasilien, Licht in das weitere Leben von Karl Rath. Zu­fäl­lig erfuhr ich von ihren Recherchen und konnte die mir zu diesem Zeit­punkt be­kannten In­for­mationen über Raths Wirken in Württem­berg nach Süd­amerika liefern. Darauf­hin er­hielt ich von dort viele Daten und er­staun­liche Do­ku­mente über den Mann, der bei uns als ver­schol­len galt, ob­wohl er in der Neuen Welt als Carlos Frederico José Rath ein öffent­lich bis heute be­kanntes und ge­würdigtes Leben ge­führt hatte.

Karl Rath

Karl Rath

Nach Stationen in Tübingen (Konser­vator am Naturalien­ka­binett, Her­stel­lung von Relief­karten, Grab­hügel­forschungen), in Öhringen bzw. Heil­bronn (geo­lo­gische Unter­suchungen, Kon­struktion einer Seilerei­maschine) sowie in Bingen wanderte Karl Rath im August 1845 nach Bra­silien aus. Dort unter­nahm er in den folgenden Jahren mehrere Ex­pe­ditionen, vor allem im Staat São Paulo. Seine Unter­suchungen galten in erster Linie der Geo­logie, den Roh­stoff­lager­stätten und der Land­ver­messung. Wie nicht anders zu er­warten, finden sich in seinen Auf­zeichnungen und Publi­kationen mehr­fach Mit­teilungen über Höhlen in zum großen Teil noch wenig er­forschten Ge­bieten. 1850 wurde Rath in der Stadt São Paulo sess­haft, 1854 be­antragte er die bra­silia­nische Staats­bürger­schaft, und 1855 kam sein ältester Sohn Daniel Rath als Aus­wanderer nach.

An vielen Projekten, die noch heute der All­ge­mein­heit von São Paulo zu­gute kom­men, wirkte Carlos Rath mit, so bei der Ein­richtung eines pro­tes­tantischen Fried­hofs, bei Straßen­bauten und bei der Wasser­ver­sorgung, selbst zur Seuchen­be­kämpfung wurde er ge­hört (Sommer 1948). Für die Deutschen in São Paulo bildete „Vater Rath” lange Jahre den Mittel­punkt ihrer Gemeinschaft.

Im hohen Alter unter­suchte er zusammen mit Daniel Rath die „Sambaquis” – Muschel­hügel­gräber aus prä­histo­rischer Zeit. Selbst der Kaiser von Brasilien, Dom Pedro II., nahm großen An­teil an diesen For­schungen und ließ sich von den beiden Rath zu den be­tref­fenden Stel­len führen. Von diesen Unter­suchungen handelte die letzte von Karl Rath zu Leb­zeiten auf Deutsch ver­öffent­lichte Ar­beit, die be­zeichnender­weise mit einem Kapitel über „Die bra­silianischen Kalk­höhlen und ihr Knochen­inhalt” endet (Rath 1874).

Anfang 1876 wurde Karl Rath noch eine hohe öffent­liche An­er­kennung zu­teil, doch im Mai kam es zu seiner Amts­ent­lassung – wie schon einmal Jahr­zehnte zuvor in Tübingen. Möglicher­weise weil er er­neut einer Be­hörde wegen seiner zeit­lebens direkten Art un­be­quem ge­worden war. Von diesen Schlag sollte sich Carlos Rath nicht mehr er­holen. Er starb am 12. Juli 1876 in São Paulo, wo er auf „seinem” Fried­hof be­graben wurde. In neuerer Zeit sorgten ver­ständigere Menschen in São Paulo da­für, dass mit der „Rua Carlos Rath” sein Name im fernen Bra­silien öffent­lich fort­be­steht. In seiner württem­berg­ischen Hei­mat denken wir Höhlen­forscher an Karl Raths Wirken mit ge­bührendem Respekt.

Thomas Rathgeber (Zum 30. Mai 2014!)

Angeführte Schriften von Karl/Carl bzw. Carlos Rath:

Rath, C. (1834): Beschreibung der bei Erpfingen (im König­reich Württem­berg) neu ent­deckten Höhle. – 24 S., zahlr. Abb. auf 2 (Falt-) Tafeln, 1 Plan (als Falt­tafel); Reutlingen (bei Fleisch­hauer und Spohn). [Identisch er­schienen mit der Ver­lags­an­gabe „Verlag der litho­graphischen An­stalt von Joh. Conrad Mäcken, jun.”].

Rath, C. (1871): Sobre a formatura das grutas calcareas e breves ob­servacoes das de parte do Brasil. – 44 hand­ge­schriebene Seiten; São Paulo (Museu imperial, Arquivo).

Rath, K. (1874): Die Sambaquis oder Muschel­hügel­gräber Brasiliens [Teil I und Teil II]. – Globus, Illu­strirte Zeit­schrift für Länder- und Völker­kunde, Bd. 26 (13): 193-198, 2 Abb. und (14): 214-218, 1 Abb.; Braunschweig.

Rath, C. [†] (1978): Beschreibung der bei Erpfingen (im Königreich Württem­berg) neu ent­deckten Höhle. [Nach­druck der Aus­gabe von 1834]. – Ab­handlungen zur Karst- und Höhlen­kunde, Reihe F („Geschichte der Speläologie, Bio­graphien, Volks­kunde”), 7: 1-24, zahlr. Abb. auf 2 (Falt-) Tafeln, 1 Plan (als Falt­tafel); München.

Nachweise für weitere angeführte Schriften siehe:

Rathgeber, Th. (2009): Zum 175-jährigen Jubiläum der Erpfinger Bären­höhle wurde das er­staun­liche Leben des an­ge­blich ver­schol­lenen Karl Rath (1802-1876) in Bra­silien be­kannt. – Laichinger Höhlen­freund, Jg. 44, S. 228-231, 1 Abb.; Laichingen.
Im Internet unter: http://www.naturkundemuseum-bw.de/sites/default/files/forschung/user_86/2009_LHF_ThR.pdf

Siehe auch die Seite des Instituto Martius-Staden in São Paulo zu Carlos Rath:
       http://www.martiusstaden.org.br/CarlRath/carl_rath_flash-full.html